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Schwerpunktthema "Sehen" - Inklusion in der Nordkirche

In der Nordkirche wurden die Angebote für blinde und sehbehinderte Menschen umstrukturiert

 Jörg Stoffregen im Portrait

Bild: c. privat: Jörg Stoffregen im Portrait

Jörg Stoffregen ist im Netzwerk Kirche Inklusiv für den Sprengel Mecklenburg und Pommern zuständig. Sein Schwerpunktthema lautet "Sehen".

Im Gespräch erklärt er Anliegen und Arbeitsweise des Netzwerkes "Kirche Inklusiv" und wie sich der Dienst für blinde und sehbehinderte Menschen in der Nordkirche verändert.

 

 

Weitere Informationen: https://www.netzwerk-kirche-inklusiv.de/fachstelle-kirche-inklusiv.html

 

Transkirpt, erstellt mit whisper von OpenAI, korrigiert von Christa Czech:


Am Telefon begrüße ich Jörg Stoffregen in Lüneburg.
Hallo!
Guten Tag!

Sie sind Diakon, Diplom Religionspädagoge, Diplom Sozialarbeiter, Diplom
Diakonie-Wissenschaftler, Sozialmanager und systemisch integrativer Coach.
Habe ich noch etwas vergessen?

Nein, das sind manche Titel, aber die sind nicht so wichtig.

Man weiß gar nicht, wo wir anfangen sollten.
Das klingt danach, dass Sie sich sehr intensiv mit diesem ganzen Komplex
beschäftigt haben.
Vielleicht steigen wir dort ein, wo sie gerade arbeiten.
Zumindest mit einer halben Stelle, wenn ich das richtig gelesen habe.
Was muss man sich darunter vorstellen?

Ich bin inzwischen Referent des Fachbereichs "Kirche inklusiv" der
Nordkirche aktiv. Die Nordkirche umfasst die Bundesländer Mecklenburg-
Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg. In diesem Bereich sind wir
inzwischen mit drei halben Stellen tätig. Jede Stelle ist für eine Region,
für ein Bundesland zuständig.
Ich mache das schon länger.
Das Netzwerk "Kirche inklusiv" ist nur eine unserer Plattformen. In diesem
Netzwerk sind Menschen, die sich für Inklusion in Kirche und Diakonie
interessieren und sich über diese Plattform vernetzen, Informationen
austauschen und miteinander das Thema bewegen.

An welche Zielgruppe richtet sich das Netzwerk jetzt vorwiegend?

Das Netzwerk selber richtet sich an alle, die an dem Thema interessiert sind.
Also ich sage mal, die, die schon was wissen und die, die sagen, ich will was wissen.
So sage ich das immer. Und das können Organisationen, Mitarbeitende aus
Kirchgemeinden, oder aus der Diakonie sein, wie auch immer.
Weil wir eine große Landeskirche sind, wollen wir Menschen miteinander in
Kontakt bringen, die an der gleichen Thematik arbeiten.

Sie sind einer von drei Mitarbeitern und ihr Schwerpunktthema lautet
„sehen“.
Ich nehme an, es geht vielleicht um mehr als nur um Blindheit, oder?

Jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter von uns Dreien hat einen regionalen
Schwerpunkt und darüber hinaus bestimmte Themen zu bearbeiten, welche wir
verfolgen. Mein Thema ist unter anderem das „Sehen“. Das heißt, wir schauen
bei  Beratungen, Projektentwicklungen in dieser Perspektive auf das Ganze.
Meine Aufgabe in der Fachstelle ist eine gewisse Expertise zu diesen
Schwerpunkten und Themen zu sammeln sowie den anderen Kolleginnen zugänglich
zu machen.

Sie haben von Projekten gesprochen, vielleicht können Sie es an einem
Projekt beispielhaft verdeutlichen.

Ich bekomme zum Beispiel Anfragen : Wie können wir unser Gemeindehaus
barrierefrei umgestalten? Diesbezüglich haben natürlich viele Leute zuerst
nur die Rampe im Blick. Es geht aber auch um die Themen Hören, Sehen und
darum, welche speziellen Erfordernisse für Sehbeeinträchtigte hinsichtlich
Barrierefreiheit zu gewährleisten sind. Dabei gilt es, die entsprechend
notwendige Umgestaltung von Räumen im Hinblick auf  Sehbeeinträchtigung
einzubeziehen und dadurch für mehr barrierefreie oder barriereärmere Räume
zu sorgen.
Das ist so eine Perspektive zum Beispiel.
Oder Menschen wollen mit mir über inklusive Gottesdienste sprechen, was es
dafür braucht, wie geht das und so weiter. Zu klären ist die Frage, gibt es
Gesangbücher in Großdruck? Werden Liederzettel oder Gottesdienstprogramme
ausgegeben, welche auch von sehbehinderten Menschen lesbar sind? Was
bedeutet Moderation im Gottesdienst, sodass auch akustisch und nicht nur der
Gottesdienst für die Leute hörbar wird? Wir versuchen, innerhalb der
Beratungsthemen die verschiedenen Aspekte umfassend anzusprechen.

Die Beratung dient also dazu, Kirchgemeinden oder Initiativen vor Ort zu
befähigen, Inklusion voranzutreiben, diese in den Blick zu nehmen und
praktisch umzusetzen?

Ja, das ist nicht nur Beratung, sondern auch Fortbildung für Pfarrer, jede
meiner Pädagogen, manchmal für Bauleute oder wer sonst Interesse an einer
solchen Fortbildung hat. Wir diskutieren zum Beispiel gerade auch viel über
Öffentlichkeitsarbeit, und diese muss barrierefrei aufgestellt sein. Wir
versuchen, solche Themen ins Gespräch zu bringen.

Sie sind konkret der Region Mecklenburg-Vorpommern zugeordnet. Wie würden
Sie das Gebiet, für das Sie zuständig sind, beschreiben?

Mecklenburg-Vorpommern ist im Wesentlichen ländlicher Raum. Der
unterschiedliche ländliche Raum an der Ostseeküste ist ganz anders als im
Land oder rund um die Müritz, wieder anders als in bestimmten Landstrichen
in Vorpommern oder auch in Mecklenburg. Es ist im ländlichen Raum mit
Barrierefreiheit und Teilhabe natürlich noch schwieriger, weil dort die
Mobilität erschwerend hinzukommt.
Wir sind da - ich sage immer - in einer anderen Liga unterwegs als in
Hamburg, wo es starke Selbsthilfeorganisationen gibt. Das ist im ländlichen
Raum doch erheblich erschwert.

Die Situation der einzelnen Kirchgemeinden in Mecklenburg-Vorpommern ist
nach meinem Eindruck sehr schwierig. Ich beobachte einen stetigen Rückgang.
Es ist mitunter nur schwer möglich, mit den Ehrenamtlichen vor Ort den
Regelbetrieb zu gewährleisten. Manchmal lässt sich der Basisbetrieb kaum
aufrecht erhalten.
Wie weit kann man da inklusiv arbeiten, bzw. Inklusion voranbringen?

Gerade im ländlichen Raum müssen Sie eigentlich noch inklusiver arbeiten,
weil die Zahl derer, die sich zur Kirche zugehörig fühlen und kirchliche
Angebote nutzen, vielfach ältere Menschen mit Sehbeeinträchtigung sind, in
ihrer Mobilität eingeschränkt, noch für den Glauben empfänglich sind.
Deswegen müssen wir uns umso mehr auf diese Zielgruppe einstellen.

Genügt es hinsichtlich dieser Gegebenheiten, Beratungs- bzw.
Fortbildungsmaßnahmen durchzuführen, wenn vor Ort manchmal die Kapazitäten
dafür fehlen?

Ob das genügt oder nicht genügt, wir müssen eine Fläche bedienen und können
gar nicht anders als in dieser Weise arbeiten. Operative Angebote könnten
wir in der Fläche überhaupt nicht anbieten. Das wäre personell gar nicht
möglich. Wir müssen darauf setzen, dass die Leute vor Ort Angebote machen
und sie darin in der Weise von uns begleitet werden, damit sie diese gut
machen.

Welche Perspektive sehen Sie denn für den ländlichen Raum?
Wie wird sich das entwickeln gerade in Bezug auf Inklusion?
Sie haben das schon angesprochen, es sind sowieso häufig Menschen, die mit
bestimmten Einschränkungen aufgrund des fortschreitenden Alters zu tun
haben.
Es ist zu beobachten, dass jüngere Leute kaum Zugang zu den Kirchgemeinden
finden. Aber man hat trotzdem gerade auch im ländlichen Gebiet blinde,
sehbehinderte Menschen, die manchmal eben auch in kleinen Orten leben.
Mobilität ist daher ein Problem. Wenn ich mit solchen blinden und
sehbehinderten Menschen spreche habe ich den Eindruck, dass sie sich nicht
nur allein auf sich gestellt fühlen, sondern dies auch sind. Kann man da
wirklich nichts anderes machen, als Beratung aus dem Zentrum anzubieten?

Wir müssen die Leute, die vor Ort aktiv sind, sensibilisieren, dass sie die
Vielfalt von Menschen im Blick haben. Blinde und Sehbehinderte sind die eine
Gruppe. Eine andere Gruppe Beeinträchtigter, die vollkommen aus dem Blick
geraten, und durch Corona ganz neu in den Fokus gekommen ist, sind die
Menschen, welche irgendwie psychiatrisch beeinträchtigt sind. Depressionen,
andere psychische Beeinträchtigungen oder sonstige Erkrankungen werden
ebenfalls oft mit Einsamkeit verbunden.
Ich denke, es ist ganz wichtig, dass es liebe Menschen vor Ort gibt, die
aufmerksam sind, mal genauer hinschauen und sich darum bemühen, gerade
solche Menschen zu erreichen, Kreativität entwickeln, damit diese
Mitmenschen nicht vereinsamen, sondern ganz selbstverständlich einbezogen
werden.

Aber ich möchte dann noch mal nachhaken, ich sehe zum Beispiel in der
thüringischen Landeskirche, dass die Arbeit mit bzw. die Unterstützung von
blinden und sehbehinderten Menschen mehr oder weniger zum Erliegen gekommen
ist. Sie sind mehr oder weniger auf sich allein gestellt.
Die Kirchgemeinden haben häufig gar nicht mehr die Kapazitäten, um
Mobilitätshilfe zu gewährleisten, um inklusiv Hilfe oder Hilfe zur Inklusion
anzubieten.
Ist das wirklich der richtige Weg?
Ich erinnere mich auch an die Umstellung.
Es gab dazu, (Dagmar Holtmann), doch auch relativ große Kritik darin, dass
man diese Umstrukturierung vornimmt.
Wie schätzen Sie das ein?

Die Alternative ist, wir haben einen Seelsorge-Dienst, Blinden Seelsorge mit
einer Person, die für die gesamte Landeskirche zuständig ist, und das ist
eine Ressource, die überfordert den Mitarbeiter und sie kommt auch nicht an,
weil Seelsorge vor Ort passieren muss. Seelsorge hat immer etwas mit
Beziehung zu tun. Deswegen geht es uns darum, die Menschen zu
sensibilisieren, die auch Seelsorge betreiben, für die unterschiedlichen
Herausforderungen, wie das Gegenüber mitbringt. Sehbeeinträchtigung oder
Blindheit ist an der Stelle ein Thema, weil wir diese Fläche überhaupt nicht
bedienen können. Das wären rausgeschmissene Ressourcen. Viel mehr geht es
darum, dass die Leute vor Ort sensibel sind, für die unterschiedlichen
Bedürfnisse, die Menschen haben, in ihrer Seelsorge.

Sehen Sie da genügend Ansprechpartner in der Fläche, die man entsprechend
schulen kann?

Ja, theoretisch. Jede Pfarrerin, jede Gemeindepräsidentin ist hauptamtlich
ansprechbar und darüber hinaus gibt es noch viele Ehrenamtliche.
Diesbezüglich sehe ich jetzt nicht das große Problem, sondern es ist
wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen sensibel sind für diese
unterschiedlichen Bedürfnisse, die die Menschen haben. Wir haben im
Vergleich zu anderen noch relativ viel Personal in der Fläche.

Gut, das mag dies vielleicht ein wenig erklären. Ich komme aus der
Thüringischen Landeskirche. Wenn ich mir vergegenwärtige, dass ein Pfarrer
für zehn Gemeinden, zehn Kirchen, zehn Predigtstellen verantwortlich ist,
dann sehe ich kaum Kapazitäten dafür, dass tatsächlich die Gruppen, welche
größeren Bedarf haben, ausreichend oder wenigstens in einer gewissen
Basisversorgung berücksichtigt werden können, wobei „Versorgung“  jetzt
vielleicht nicht der richtige Begriff ist.
Wird sich die Situation in der Nordkirche nicht ähnlich entwickeln, gerade
auch im ländlichen Raum, dass die Gemeinden noch kleiner werden, die
Pfarrstellen noch größere Bereiche umfassen, und dadurch die Personaldecke
immer weiter zurückgefahren wird, damit möglicherweise auch in der Zukunft
diese Vision solcher Herangehensweise schwer zu praktizieren sein wird?

Da kann ich eine Glaskugel gucken. Das kann ich Ihnen nicht sagen, wie sich
dies entwickelt oder was da nötig ist. Ich kann nur sagen, die Ressourcen
werden sich verknappen, und wir müssen mit weniger Ressourcen auskommen, und
das nicht nur an Geld, sondern es liegt auch am Personal.
Wir müssen einfach mit weniger Ressourcen Aufgaben erfüllen, die wir vorher
mit mehr Ressourcen durchführen konnten. Das muss ich so deutlich sagen.
Wenn ich das auf unsere Landeskirche beziehe; in dem gesamten Ostteil haben
wir vorher auch keine Blinden- und Sehbehinderten-Seelsorge gehabt, bzw. nur
mit minimalem Anteil. Deswegen müssen wir jetzt von vornherein anders
vorgehen, damit wir die Leute erreichen.

Ihr Projekt ist auf vier Jahre angelegt, wenn ich das richtig in Erinnerung
habe.
Wie sehen Sie das? Gibt es Chancen, das weiterzuführen?

Das sehe ich jetzt nicht als das Thema an. Es ist mehr ein interner Aspekt,
das erst einmal  als Projekt anzulegen. Ich gehe davon aus, in der Weise,
wie wir jetzt experimentieren. Wir müssen ja immer noch schauen, welches ist
das beste Format, und wie sind wir am besten aufgestellt. Das ist ein
ständiger Prozess. Aber ich gehe zunächst davon aus, dass das auch so
bleibt.

Was würden Sie sich denn für Ihre Arbeit in der nächsten Zeit wünschen?

Was ich mir wünschen würde? Natürlich wünsche ich mir immer noch mehr
Ressourcen, aber auf der anderen Seite, ich würde mir wünschen, dass es sich so, wie wir im Moment unterwegs sind, weiterentwickelt. Und das würde ich mir auch wünschen, dass bei vielem Anderen diese inklusive Perspektive nicht eine Perspektive ist,
die wir noch erreichen müssen, sondern dass das eine Perspektive ist, die
grundsätzlich da ist.
Ja, auf eine Zukunft, auf eine Aussicht hin, dass wir wirklich inklusiv in
unserer Kirche von vornherein denken. Genau, das ist nicht ein Projekt und
auch nicht etwas Zusätzliches, sondern das ist das Alte.

Das ist etwas, was ich unterstreichen und Ihnen dafür alles Gute wünschen
möchte, dass wir auf diesem Weg weiter vorankommen.
Ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch und freue mich darauf,
dass wir uns vielleicht in weiterer Zukunft dann wieder mal darüber
austauschen können, wie sich die Arbeit weiterentwickelt hat.

Vielen Dank!

Das war Jörg Stoffregen vom Netzwerk Kirche inklusiv, der Nordkirche.
Er ist erreichbar unter der Telefonnummer 016090604375 und über die Webseite
www.netzwerk-kirche-inklusiv.de Mein Name ist Jörg Sorge und das war ein
Beitrag der KOM-IN-Netzwerk Nachrichten.

 


Veröffentlicht am 16.12.2023 von Sorge, Jörg